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Angelus Silesius zum 400. Geburtstag

Angelus Silesius (1624-1677), der "Schlesische Engel" - bürgerlich hieß er Johannes Scheffler -, hat in seinen zahlreichen Epigrammen auf kraftvolle Weise ein mystisches Christentum zur Sprache gebracht. Mystik bedeutet hier nicht Weltabgewandtheit, sondern die Vergegenwärtigung und Verinnerlichung der Wesenseinheit von Mensch, Welt und Gottheit.

Weil ich das wahre Licht, so wie es ist, soll sehn,
So muß ich's selber sein, sonst kann es nicht geschehn.

Gott ist von Anbeginn der Bildner aller Dinge
Und auch ihr Muster selbst. Drum ist ja keins geringe.

Der Himmel ist in dir und auch der Höllen Qual:
Was du erkiest und willst, das hast du überall.

                         
(erkiesen = erwählen)

Die Meinungen seind Sand, ein Narr, der bauet drein.
Du baust auf Meinungen - wie kannst du weise sein?

Am 29. Dezember, 11.15 Uhr, werde ich in der Christengemeinschaft Hannover (Ellernstraße 44) versuchen, den Tiefsinn und die Schönheit dieser unvergleichlichen Dichtung zum Erlebnis zu bringen, indem ich einige Zweizeiler des Meisters spreche und in einer kurzen Betrachtung auf ihren spirituellen Inhalt eingehe.


 


 

 


16. Oktober '24

Verlacht, verlassen stehn, viel leyden in der Zeit,
Nichts haben, koennen, seyn ist meine Herrlichkeit.

                
Angelus Silesius


Im Winde geht ein loses Blatt,
Umwirbelt meinen Fuß.

Da mich die Welt geliebet hat,
Schenk ich ihr einen Gruß.

Sie neigt sich hin, so groß und klar,
Und gab mir das Geleit.
Und trat, als sie zuende war,
Zurück in ihre Zeit.

Denn wie das Blatt den Baum verliert
Und mit dem Winde eilt,
So hab ich mir ein Maß erspürt,
Darinnen ich verweilt.

Als Baum gab ich so manches Blatt
Dem Winde an die Hand...
Was mich am schönsten dünket hat,
Das schrieb ich in den Sand.

Ich hab in all der großen Not
Doch immer nur bereitet.
Und nur gewartet auf den Tod,
Der mir das Auge weitet.

        
Hermann Kükelhaus


In eines Baumes abgewandter Kehlung,
Die alles offen weist,
Vollzieh ich meine und des Raums Vermählung,
Die Himmel heißt.

Bin ich denn Innres nicht? Stürzen keine Sterne
Durch meinen Schritt?
Blutet mir vom Angelicht nicht Ferne
Wie unter einem Schnitt?

        Hermann Kükelhaus


Wir sind der Heimat fremde Hände
Und tragen einen goldnen Stern

Hinaus in aller Welten Ende,
Wir sind der Heimat heimatfern.
Dort sind wir, wo wir ferner sind
Und wo wir nie gewesen,
Von wannen uns ein alter Wind
Erzählt, daß niemand hinnen find't,
Dort sind wir schon gewesen.
Dort, wo wir in der Heimat sind.

        Hermann Kükelhaus


Der Mensch hat eher nicht vollkommne Seligkeit,
Bis daß die Einheit hat verschuckt die Anderheit.

        Angelus Silesius

 





25. August '24

Ich darf mich glücklich schätzen, als Pianist und Vokalist schon seit vielen Jahren mit Angelika Remlinger (Sängerin, Raum Kassel) und Andreas Krennerich (Saxophonist, Stuttgart) regelmäßig und intensiv auf dem Gebiet der Freien Improvisation zusammenzuarbeiten. Als Trio jo.FEUERBACH geben wir Konzerte, spielen zu Lesungen sowie Ausstellungseröffnungen und wirken mit Künstlern weiterer Disziplinen zusammen. Oft tragen wir auch Musik zu den Gottesdiensten der Christengemeinschaft bei, vorwiegend in Hannover. Gelegentlich spielt jeder von uns auch solo zu geeigneten Anlässen. - Hier einige für die nächste Zeit geplante Termine:

15.09.'24, 12:00 Uhr Tanz und Musik im Dialog mit Werken von Otto Flath
Ulrike Wallis und Gruppe - Tanz (Improvisation)
Trio jo.FEUERBACH - Musik (Improvisation)
Kunsthalle Otto Flath, Bad Segeberg, Bismarckallee 5

17.09.'24, 19:30 Uhr Premierenlesung zum Lyrik-Band
'nachtsatz des himmels' von Gyde Callesen
Gyde Callesen - Rezitation
Thomas Reuter - Klavier-Improvisationen
ARDEA, Wennigsen, Albert-Einstein-Straße 2B

3.10.'24, 16:00 Die Apokalypse des Johannes
Vollständige Lesung
Jochen Butenholz - Rezitation
Trio jo.FEUERBACH - Musik (Improvisation)
Die Christengemeinschaft in Kassel, Tenne, Pfeifferstraße 4

26.10.'24, 19:00 Die Apokalypse des Johannes, Teil 1
27.10.'24, 17:00 Die Apokalypse des Johannes, Teil 2
Vollständige Lesung
Jochen Butenholz - Rezitation
Trio jo.FEUERBACH - Musik (Improvisation)
Die Christengemeinschaft in Hannover, Ellernstraße 44

16.11.'24, 16:30 Die Apokalypse des Johannes
Vollständige Lesung
Jochen Butenholz - Rezitation
Trio jo.FEUERBACH - Musik (Improvisation)
Die Christengemeinschaft in Bielefeld, Thomas-Kirche, Westerfeldstraße 46





5. Juli 2024

Ich konnte nun meine Textsammlung HÖREN im Selbstverlag herausbringen, mit Aufsätzen und Kurztexten aus verschiedenen Jahrzehnten. Einiges davon ist bereits in meinen unter dem Pseudonym Friedel Waal erschienenen Anthologien GOTTSCHALK, OSWALD und OLGA zu finden, hier kommt jedoch manches hinzu, etwa Fach- und Arbeitstexte, die sich mit der Freien Improvisation und mit der kultischen Musik der Bewegung für religiöse Erneuerung beschäftigen. Den eigentlichen Schwerpunkt bildet die Frage nach dem Musikalischen schlechthin: dem musikalischen Prinzip, das alle künstlerische Tätigkeit befruchten kann. - Hier einige Selbstzitate:

Zur Grundlage von Genialität gehört der "Sinn für Sinn" - und damit ein liebendes Interesse an Struktur und Form. Diese Liebe ist beim genialen Menschen zum ORGAN geworden, das bedeutet, er kann Sinn wahrnehmen, ja sogar Sinn schaffen.
       Die allermeisten Menschen verstehen Begriffe wie Struktur und Form zu oberflächlich - beziehungsweise als etwas relativ Oberflächliches. Eben weil sie nicht genial sind. Oder umgekehrt: Es wäre der Beginn von Genialität, wenn sie an dieser Oberflächlichkeit etwas ändern würden! Eine Sinnes-Änderung.


Das Einfache ist eine Abstraktion, eine menschliche Erfindung. Wer nur das Einfache anerkennt, verdrängt das Vielfältige, Komplizierte, Unberechenbare lediglich aus seinem Bewußtsein. Kunst heißt unter anderem, das Schwierige, Chaotische, unfaßbar Wimmelnde zu vereinfachen, faßbar zu machen, in welchem Grade und auf welche Art auch immer. Wo jedoch tatsächlich nur noch Faßbares übrigbleibt, ist es aus mit der Kunst. - Dies ist ein Grund, warum große Kunst nicht wirklich kopiert werden kann; es bleibt immer ein "gewisses Etwas", das so heilig und unbedingt liebenswert ist, wie das Unverwechselbare in jedem einzelnen Menschen.


Improvisation als revolutionäre Geste?
       Nein, eigentlich bin ich - sozusagen - ein Konservativer: Ich improvisiere, um die Welt zu bewahren!
       Denn worin besteht das Leben der Welt? Im Werden und Vergehen. Wer improvisiert, bewahrt dies Leben, zelebriert es als heiliges Spiel.
       Bei Albrecht Fabri fand ich den wunderbaren Satz von Kant:
"Nur das Beharrliche wird verändert, das Wandelbare erleidet keine Veränderung."


Töne? Sind Pausen der Stille.
       Wie wunderbar, daß die lebendige Stille sterbend sich beruhigen darf, hinein in die Töne! In denen sie bemerkt, daß sie war - und wieder sein wird.
       Ein Ton - ein kurzer vielleicht - erklingt: Das heißt, die musikalische Stille verstummt einen Augenblick und erkennt sich selbst.


Immer wieder staune ich, wie wenig ich von Musik verstehe: gerade so viel, daß meine Sehnsucht nach ihrer Tiefe stets von neuem entfacht wird.


MUSIKER UND TECHNIK
Unbegabte hassen Technik.
Begabte lieben Technik.
Genies haben Technik.


 


Mitte August '23 trafen sich sechs auf verschiedenen Gebieten tätige Künstler zu einer vertiefenden Zusammenarbeit in Hannover. Es gab intensive improvisatorische Begegnungen von Zweckfreier Handlung, Tanz, Musik und Bildender Kunst, bei denen es nicht zuletzt um die Frage ging: Wie kann ich meinen Willen mitsamt allen Fähigkeiten zum Organ eines größeren Zusammenhanges machen? Wie kann der Wille "sanft" und "empfangend" werden?
     Unsere praktischen Versuche mündeten dann in eine Art Werkstattaufführung, und danach wurden wir von einigen Anwesenden zu einer Fortsetzung solcher Ereignisse ermuntert - wobei der Wunsch aufkam, Zuhörern und Zuschauern zu ermöglichen, sich nicht nur wahrnehmend, sondern auch aktiv handelnd am Geschehen zu beteiligen.
     Darauf gehen wir gerne ein und laden herzlich zu einem zweiten Abend dieser Art ein: 'DER SANFTE WILLE', 22. Juni '24, 19:30 Uhr in Hannover, Christengemeinschaft, Ellernstraße 44! Wir erarbeiten bewußt kein "festes Programm", sondern die Vorbereitung besteht darin, die Aufmerksamkeit und Rückhaltlosigkeit zu steigern und so geistesgegenwärtiges Tun zu ermöglichen.




"Wenn sich die Farbe mit dem Untergrund verbindet und die Hand dem Spachtel die Führung überlässt, wenn Sehen bedeutet, nicht mehr auf das Bild zu schauen, sondern ein Sich-Bewegen im Bild ist, dann besteht die Chance, dass entwas entsteht, vor dem der Malende später staunend stehen wird.
     Malen wird dann ein Vorgang der spielerischen Konzentration, so wie Kinder spielen, mit großem Ernst - eine Tätigkeit, in der die Getrenntheit von Welt und Mensch für Augenblicke aufgehoben wird."

                Angelika Remlinger


Das überlichte Licht schaut man in diesem Leben
Nicht besser, als wann man ins Dunkle sich begeben.

               Angelus Silesius


"So kann man auch nur in das Licht gelangen, wenn man ganz und gar ergriffen ist von der Bewunderung für das Erglänzende, so daß man die eigene Mittelmäßigkeit darüber gänzlich vergißt. Wie die Prostituierte zu den Füßen Christi."

               
Simone Weil


Weil ich das wahre Licht, so wie es ist, soll sehn,
So muß ich's selber sein; sonst kann es nicht geschehn.

               
Angelus Silesius




 



25. März '24

"Die Sprache ist das Haus des Seins." - Martin Heidegger

"Sprachkürze gibt Denkweite." - Rainer Kunze

"Das Zitat ist keine Abschrift. Zitate sind Zikaden. Sie haben die Eigenheit, nicht mehr verstummen zu können. Klammern sich in die Luft und lassen sie nicht mehr los." - Osipp Mandelstam

"Wir kommen nie zu Gedanken. Sie kommen zu uns." - Martin Heidegger



 

22. Februar '24

Nachdenken über Kunst... Sprechen über Kunst? Was hat Kunst mit Denken zu tun? Welche Rolle spielen Begriffe? Was können Begriffe be-greifen: etwa die Kunst? Das Leben? Vermögen wir die menschliche Seele zu begreifen? Was bedeutet Verstehen: verstehen wir unser Empfinden, unser Fühlen? Geht es um Überzeugungen - oder eher um Hingabe? In welchem Sinne kann Kunst wahr sein?
       Ich mag es, wenn sich anregende Äußerungen - Zitate aus verschiedenen geistigen Himmelsrichtungen - begegnen: zunächst scheinbar zusammenhanglos, um sich untereinander vielleicht mehr und mehr zu beleuchten und zu ergänzen. Wodurch können sie das? Indem wir sie in uns bewegen.



Johann Wolfgang Goethe: Nur ein Teil der Kunst kann gelehrt werden, der Künstler braucht sie ganz. Wer sie halb kennt, ist immer irre und redet viel, wer sie ganz besitzt, mag nur tun und redet selten oder spät.

Ralph Waldo Emerson(?): Argumente überzeugen niemanden. ... Aber wenn etwas nur gesagt, oder - noch besser - angedeutet wird, gibt es eine Art Gastlichkeit in unserer Vorstellungskraft. Wir sind bereit, es zu akzeptieren.

Georg Christoph Lichtenberg: Die großen Geister schaffen nur, ohne zu tadeln.

Jorge Luis Borges: Seligkeit des Begreifens, größer als die des Vorstellens oder Empfindens.

Alfred Tennyson: Wenn wir eine einzige Blume begreifen könnten, würden wir wissen, wer wir sind und was die Welt ist.

Francis Herbert Bradley: Für die unbefriedigte Liebe ist die Welt ein Rätsel, ein Rätsel, das die befriedigte Liebe zu verstehen scheint.

Paul Celan: Nur wahre Hände schreiben wahre Gedichte. Ich sehe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Händedruck und Gedicht.






10. Februar '24

Die Apokalypse des Johannes ist für viele Zeitgenossen ein schwer verdaulicher Text - auch für mich selbst! Dennoch bin ich als Musiker voll und ganz in eine Folge von Gesamtaufführungen der Johannes-Offenbarung involviert. Es ist für mich eine Möglichkeit, mich dem Text zu stellen und meine Fragen an ihn zu vertiefen. Die nächste Aufführung findet in Göttingen statt - mit einem Einführungsvortrag am Tag zuvor:

Die Christengemeinschaft in Göttingen,
Friedländer Weg 9

Freitag, 16.02.'24, 19:00 Vortrag von Jochen Butenholz:
Die Apokalypse des Johannes - ein Kraft-Quell für unsere Zeit

Samstag, 17.02.'24, 16:00 Teil 1, 19:00 Teil 2
Lesung der gesamten Johannes-Apokalypse
mit frei improvisierter Musik:
Jochen Butenholz, Hannover - Rezitation
Angelika Remlinger, Kassel - Stimme
Andreas Krennerich, Stuttgart - Saxophone
Thomas Reuter, Hannover - Piano, Stimme


Dieser einzigartige, dramatische, aufwühlende Text läßt eindrückliche Bilder im Zuhörer entstehen - Bilder sowohl der Vernichtung als auch der Verheißung. Zentrale Fragen tun sich auf, vor allem die nach der Rolle des Bösen und unserer Aufgabe im gesamten Menschheitsdrama. - Für mich ist es vor allem die Frage: Wie kann ich die Gesinnung, den "geistigen Stil" der Apokalypse zusammenbringen mit Kernaussagen der Evangelien, etwa den Seligpreisungen der Bergpredigt?
     Die folgenden Sprüche von Angelus Silesius scheinen mir hier weiterzuführen, und ich zitiere sie - quasi als ernstgemeinten Gesprächsbeitrag in diesem Feld der großen Gesinnungsfragen:



Der Himmel ist in dir, und auch der Höllen Qual:
Was du erkiest und willst, das hast du überall.

Gott ist in mir das Feur, und ich in ihm der Schein:
Sind wir einander nicht ganz inniglich gemein?

Gott ist ein Geist, ein Feur, ein Wesen und ein Licht,
Und ist doch wiederum auch dieses alles nicht.

Die Lieb ist ein Magnet, sie ziehet mich in Gott;
Und was noch größer ist: sie reißet Gott in Tod.

Die Liebe fürcht sich nicht, sie kann auch nicht verderben;
Es müßte Gott zuvor samt seiner Gottheit sterben.

                Angelus Silesius




 

Die beiden im Dezember ausgefallen Rilke-Konzertlesungen können nun im Februar und April stattfinden:

"Erde, du liebe, ich will..."
Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke
Ulrich Meier, Hamburg - Rezitation
Thomas Reuter, Hannover - Piano, Stimme

Freitag, 16. Februar 2024, 19:00 Uhr
Die Christengemeinschaft Marburg
Anne-Frank-Straße 10

Samstag, 27. April 2024, 19:00 Uhr
Die Christengemeinschaft Köln-Ost
Hauswiesenweg 1






"Erde, du liebe, ich will..."
100 Jahre Duineser Elegien
von Rainer Maria Rilke
Ulrich Meier, Hamburg - Rezitation
Thomas Reuter, Hannover - Piano, Stimme

Freitag, 1. Dezember 2023, 19:00 Uhr
Die Christengemeinschaft Köln-Ost
Hauswiesenweg 1
FÄLLT WEGEN ERKRANKUNG VON U.MEIER AUS.

Samstag, 2. Dezember 2023, 19:00 Uhr
Die Christengemeinschaft Marburg
Anne-Frank-Straße 10
FÄLLT WEGEN ERKRANKUNG VON U.MEIER AUS!.

Donnerstag, 14. Dezember 2023, 20:00 Uhr
Die Christengemeinschaft Hamburg-Harburg
Heimfelder Straße 67
FINDET STATT!

Zehn Jahre seiner Lebenszeit verwendete Rilke, um die Klagen und Lobgesänge seiner Duineser Elegien zu schaffen, die 1923 erstmals im Druck erschienen. "Wenn wir immerfort im Leben unzulänglich, im Entschließen unsicher und dem Tode gegenüber unfähig sind...", so schrieb er im November 1915 an Lotte Hepner, "... wie ist es möglich dazusein?" In berührender Weise bringt er darin als Beginn seiner späten Lyrik Höhen und Tiefen menschlicher Existenz mit einem Kosmos ins Gespräch, in dem ihm die Engel ebenso wie das Lebewesen Erde zu Dialogpartnern geworden sind. Die Lesung dieses Abends wird mit improvisierter Musik verbunden, die dem Hören der Worte Anregung, Vertiefung und Ergänzung ermöglichen.













Oktober '23

Indem ich schweig, hab ich viel mehr von mir erfahrn,
Als vor mir ausgeschwätzt viel Weis' in hundert Jahrn.

       Daniel Czepko von Reigersfeld


Der Mensch ist alle Ding'; ist's, daß ihm eins gebricht,
So kennet er fürwahr sein Reichtum selber nicht.

Mensch, nichts ist unvollkomm'n; der Kies gleicht dem Rubin,
der Frosch ist ja so schön als Engel Seraphin.

Die Sonn erreget all's, macht alle Sterne tanzen;
Wirst du nicht auch bewegt, so g'hörst du nicht zum Ganzen.

Lieb ist der Weisen Stein: sie scheidet Gold aus Kot;
Sie machet Nichts zu Ichts* und wandelt mich in Gott.
[ichts, ichtwas: "etwas"]

       Angelus Silesius




Den geliebten Menschen zu erblicken, ist wie zerrissen und geheilt zu werden in einem.


Das Problem ist nicht, daß wir nicht im Glück wären, sondern daß wir das Glück nicht fassen können.


Bequemlichkeit: das Gegenteil des spirituellen Erlebens.


Was die Illusion für das Erkennen, ist der Kitsch für die Kunst.

       Friedel Waal


 

 




 



6. September '23

Vila-Matas: "Warum sind Schriftsteller mehr als andere Menschen eine leichte Beute von Depressionen? - Deprimiert sind sie, weil sie den Gedanken nicht ertragen, in einer von Idioten zerstörten Welt leben zu müssen."

Boethius: "Das Böse ist nichts, wenn du es nicht zu etwas werden läßt."

Heraklit: "Drum tut es not, dem Allgemeinen zu folgen. Obwohl aber der Sinn allgemein ist, leben die Vielen, als hätten sie ein Denken für sich."

Lichtenberg: "Die großen Geister schaffen nur, ohne zu tadeln."

Gogol: "Gelächter fürchtet selbst der, der sonst nichts fürchtet."

Grillparzer: "Wer seine Schranken kennt, der ist der Freie, / wer frei sich wähnt, ist seines Wahnes Knecht."

Sloterdijk: "Der Mensch ist ein von Grund auf restaurationsbedürftiges Gebilde, das schon nach wenigen Stunden aus der Form gerät, und deshalb müssen wir, die wir lieben und hoffen oder häufig an unserer Leere verzweifeln, jeden Tag renoviert werden."



                      Friedel Waal


22. August '23


Manche verwechseln Vernunft mit bloßer Schlauheit - was vernünftigen Menschen nicht passieren würde. Aber wie hoch ist denn der Anteil von Vernunft im menschlichen Seelenleben?
     Gar nicht sehr hoch. Wäre es anders, so würden sich die Menschen untereinander verstehen! Es gäbe keine tragischen Konflikte, erst recht keine Glaubenskriege und dergleichen. Machtkämpfe zwischen politischen Parteien würden sich erübrigen, Formationen zur Durchsetzung egoistischer Gruppeninteressen wären überflüssig.
     Ein deutlicher Zuwachs an Vernunft würde die Verbissenheit jeglicher Art von Streit auflösen, und viele irrige Lebensentwürfe würden der Weitung des Blickes zum Opfer fallen. Der massenhafte Verlust von Illusionen könnte sozusagen eine weltweite Pandemie von geistiger Gesundheit auslösen.

                        
Friedel Waal




ZUSAMMENKOMMEN, LIEBKOSUNG, KOMMUNION

Kunst ist Kommunion, Liebkosung, Zusammenkommen. Wovon? - Von Maß und Maßlosigkeit, von Entschiedenheit und Unberechenbarkeit, von Zeit und Ewigkeit.
     So ist es wohl mit allem wesentlich Menschlichen. Weg und Ziel sind Freiheit und zugleich Liebe. Da begegnen sich Maß und Maßlosigkeit, da geschieht die Liebkosung zwischen Entschiedenheit und Unberechenbarkeit, da vereinen sich Zeit und Ewigkeit.

                        Friedel Waal



MUSIK - SAKRAL, BANAL, VIRAL ODER WAS?

Ich habe ein ganzes Leben gebraucht, um allmählich zu kapieren, daß Musik-Hören für die allermeisten Menschen nicht viel mehr bedeutet als dies: Man löffelt Gefühlssoße in sich hinein, je nach Geschmacksrichtung fertig zubereitet, man gönnt dem eigenen Leben und Tun ein wenig stimulierenden Schmierstoff; man unter- oder übermalt seine Lieblingsphantasien einschließlich des eigenen Selbstbildes mit den passenden "Soundtracks".
     Das Erklingende wird nicht ernsthaft hinterfragt, man konsumiert es einfach, solange das Lebensgefühl nicht gestört wird. Die Musik blubbert vor sich hin, während kaum jemand wirklich hin- oder gar aufmerksam hineinhört, ähnlich dem Abbrennen einer Duftkerze, die ja auch niemanden stören soll. Gegebenenfalls achtet man vielleicht auf vertonte Texte... Ob die Musik beruhigend, spannend, erhebend, rührselig oder vitalisierend zu wirken hat, hängt ganz vom Geschmack des Verbrauchers ab, der sich dann, wenn er seine eigene Norm bestätigt fühlt, lobend etwa so äußert: "Das tut mir gut."
     Was darüber hinausgeht - das Musikalische als solches ernstzunehmen und darin bewußt hörend tätig zu werden -, bedeutet, sich dieser Normalität zu entringen, was, wie mir scheint, in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer schwieriger und wohl auch seltener geworden ist. So brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir nur noch mit Klang-Balsam berieselt und eingepinselt werden, dessen Varianten ich mal unvorsichtigerweise - weil ich Reime so liebe - genannt habe: Normalmusik, Banalmusik, Trivialmusik, Brutalmusik und Urinalmusik.*

* Letztere gibt es wirklich, und mir scheint, es handelt sich dabei fast schon um eine eigene Stilrichtung oder Gattung. Kostproben sind etwa auf dem Hauptbahnhof Hannover zu hören: im Herren-WC, zu finden in der Haupthalle, Westseite, Aufgang zu Gleis 10.


                                Friedel Waal






 









22. Juli '23

IDENTITÄT? Verhältnis des Ich zum Geist: HÖREN. Das heißt: Gehören, Gehorchen. - Ich gehöre der Welt, bin Organ des Ganzen. - Selbsterkenntnis: Ich ist nichts für sich, Ich ist GEIST.

                     Friedel Waal


Matthäus 5: "Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf einen Leuchter; dann leuchtet es allen im Hause."


WAS WIRKLICH GUT IST, BLEIBT GUT. - Eine gute Sache kann zwar der Vergangenheit angehören, aber dort kann man ihr die Güte niemals mehr absprechen. Auch ein Mensch, der gut gehandelt hat und diese Güte irgendwann verliert, bleibt in seiner Vergangenheit gut. Die Vergangenheit kann nicht gelöscht oder geändert werden. So leuchtet alles, was gut ist, ewig weiter.

                Friedel Waal






 






Ostersonntag, 9. April '23

NOVALIS:

Wo Geist und Schönheit ist, häuft sich in konzentrischen Schwingungen das Beste aller Naturen.

Was man liebt, findet man überall, und sieht überall Ähnlichkeiten. Je größer die Liebe, desto weiter und mannichfaltiger diese ähnliche Welt. Meine Geliebte ist die Abbreviatur des Universums, das Universum die Elongatur meiner Geliebten.

Welten bauen genügt dem tiefer dringenden Sinn nicht:
Aber ein liebendes Herz sättigt den strebenden Geist.

Das folgende Zitat scheint zunächst nicht besonders gut zu den obigen zu passen; ich finde aber, man kann es als wunderbare Fortführung und Erweiterung ins geistig Umfassende lesen:

Wir werden die Welt verstehen, wenn wir uns selbst verstehn, weil wir und sie integrale HÄLFTEN sind. Gotteskinder, göttliche Keime sind wir. Einst werden wir seyn, was unser Vater ist.

 



14. März '23

ZWÖLF QUASAIKUS von Friedel Waal aus dem Buch OLGA
(Ein Quasaiku ist ein Spruch nach dem Haiku-Modell:
5+7+5 Silben)


Heraklit meinte,
der Krieg sei Vater des Alls.

Gibt's auch 'ne Mutter?


Was ist die Mehrheit?

"Der Unsinn", wie Schiller sagt.
Ich mißtraue ihr.


Niemand kann streiten

mit einem, der nicht streitet,
sagte Lao Tse.


Wer Politik macht,

nutzt die Sprache als Waffe.,
tückisch, wie im Krieg.


Die Menschheits-Geißel:
pfiffig verpackte Dummheit.
Vorsicht, ansteckend!


Auch Schwachsinns-Kultur

erfordert fleißiges Üben.
Sonst droht Erleuchtung!


Ich rede zwar Quatsch,

dachte der Demagoge,
aber ich mein's gut.



Geistig gesund ist,

wer sich selbst und die Welt liebt.
Lieblose sind krank.


Haß gehört zu uns,

wie auch Liebe und Weisheit.
Doch Haß - ist Schwachsinn.


Im Altruismus

sucht Egoismus sein Ziel,
nämlich Selbst-Weitung.


Die Naivität,

goldne Brücke zur Kindheit:
brich sie niemals ab.


Wer nach Geist hungert,

besitzt er nicht dadurch schon
das Wesentliche?




2. März '23

ALBRECHT FABRI:

Etwas vergeblich tun, heißt ursprünglich nicht, etwas tun, ohne etwas damit auszurichten, sondern etwas tun, ohne etwas damit ausrichten zu wollen. Tun also, das seinen Lohn nicht erst über einen zu erreichenden Zweck eintreiben muß, sondern sich selber der Lohn ist. Nur als dieses vergebliche hat Tun Unschuld, nur als dieses vergebliche ist es nicht vergeblich.

Der Nihilist ist gleichsam der umgekehrte Mönch: er hat das Gelübde der metaphysischen Besitzlosigkeit abgelegt.

Was der Geist erobert, geht eben damit, daß es erobert worden ist, im selben Augenblick wieder verloren. Von diesem Gestz, das Sie aber nicht als Fluch, sondern als seine Grundlage auffassen wollen, lebt der Geist.
     Nehmen Sie zum Beispiel die immanente Dialektik der Sprache: Was zum Wort kommt, pflegt eben damit zu erstarren und dem Wort wieder zu entsinken. Wie sehr auch Lexikon und Grammatik darüber hinwegzutäuschen versuchen: es gibt die Sprache nur, sofern es sie nicht gibt. Sie ist ewiges Futur; wir haben sie, nicht indem wir sie haben, sondern unterwegs sind zu ihr. Analog aber mit allem anderen auch.

Die Frage, ob der Schriftsteller für sich oder für andere schreibe, ist bereits als solche falsch. Der Schriftsteller schreibt nicht für, er schreibt. Die Möglichkeit des Gelesenwerdens ist darin von vornherein impliziert; veröffentlichen läßt sich der Text nur, weil er bereits von Anfang an öffentlich ist. Der Leser, heißt das, ist in einem Text stets mitentworfen. Der Widerspruch, den der Text vielleicht hervorruft, drückt die Weigerung aus, diesem Leser zu gleichen. In der Tat mutet mir ein Text nicht weniger zu, als mich in ganz bestimmter Weise zu verändern: der ihn zur Hand nimmt , und der ihn wieder fortlegt, sind in jedem Fall zwei.

Überhaupt niemals lesen zwei genau dasselbe Buch; jeder vielmehr liest den Autor, den er verdient (den er aufzuwiegen imstande).

Der Wert eines Satzes ist eine direkte Funktion der Unmöglichkeit, auf die Frage, was er sage, anders als mit seiner Wiederholung zu antworten.

Für den, der zwischen großen und kleinen Problemen unterscheidet, hat das Denken entweder noch nicht angefangen oder schon wieder aufgehört.

Nie daran denken, daß es Dummköpfe gibt! Was man nämlich an deren Adresse gerichtet schreibt, verdirbt den Text. Allerdings, richtet sich nicht alles Diskursive an deren Adresse?

Auch in der eigenen Sprache gibt es Fremdwörter, die nur wenige verstehen: im Deutschen zum Beispiel das Wort "Bildung".

Der eigentliche Non-Konformist wäre der, der nicht gegen die da oben spräche, sondern anders spräche als sie. Ein denn auch nur selten vorkommendes Exemplar, der Non-Konformist.

Elefanten baden, Fische nicht.

Glück und Präsenz sind eins.

Andächtig ist, wer, wenn er Tee trinkt, Tee trinkt.




28. Februar '23

ALBRECHT FABRI:

"Nietzsche im 818. Stück des Willens zur Macht: 'Man ist um den Preis Künstler, daß man das, was alle Nichtkünstler Form nennen, als Inhalt, als die Sache selbst empfindet.'
     Mit den Worten eines Neueren: Die Form ist vom Schriftsteller, der Inhalt vom Leser."

"Perpetuierliches Drama zwischen Konvention und Konfusion. Nur das Konfuse ist das Urprüngliche; es entscheidet über einen Schriftsteller, wieviel Unordnung in der Ordnung seiner Sätze gewahrt bleibt. Je weiter sich Sprechen vom Stammeln entfernt, desto leerer wird es. Der vollkommen rationale Stil hat Inzestcharakter."

"Aller Anfang ist leicht. Schwer hat's erst der Meister."

"Ein Wort ist etwas, und ein Wort bedeutet etwas. Des Dichters, Hochzeit zu stiften zwischen diesen beiden Tätigkeiten des Wortes."

"Leute von gesten vor Bildern von heute, das geht wirklich nicht."

"Adam, im Paradies, hat nicht gemalt. Adam, im Paradies, hat auch an nichts geglaubt. Wie an einen glauben, dem man täglich auf dessen Gang durch den Garten begegnet? Malen wie Glauben setzen voraus einen Verlust; man malt und man glaubt im Winter."

"Kunst lebt davon, daß es sie gibt, nur sofern es sie nicht gibt. Sie ist nicht ihre Resultate, sondern der diese Resultate hervorbringende Akt."

"Wer nicht auch schlecht sein kann, kann nicht gut sein, und wer nicht auch anders kann, kann überhaupt nicht."

"Die Farbe, mit der ich meinen Fußboden anstreiche, kann ich kaufen; die Farbe, ein Bild zu malen, entsteht erst beim Malen. Sie ist ein Produkt des Bildes, nicht umgekehrt; analog, was das Verhältnis Wort - Gedicht angeht."

"Cézanne malt nicht gut, er malt: das Verb ist sowohl weiter wie enger als das Adverb. Schreiben ist mehr als gut schreiben: gut schreiben kann man lernen, schreiben nicht."

"Rot ist rot... Darüber kommt man nicht hinaus. Aber zeigen, daß Rot rot ist; Rot tatsächlich rot sein lassen - - Schwer ist überhaupt nur das Einfache."

"Kritik - die kürzeste Formel - ist die Meßkunst eines Gegenstandes an ihm selbst."

"Bitte nicht vergessen: Die Musiker, die Dichter, die Erzgießer (vgl. 1. Mose 4, 21-22) stammen in dierekter Linie von Kain ab."

"Das spezifische Abenteuer der Kunst: etwas zu sagen, das man, bevor man's gesagt hat, keineswegs schon wußte."



Die Christengemeinschaft in Kassel:


3. Februar '23

SCHLAU WERDEN?

"Aus diesem Menschen werd ich nicht schlau." Eben gerade hörte ich diese Redensart aus meinem eigenen Mund - und dann kam mir die Frage: Werde ich denn überhaupt aus irgendjemandem schlau? Wahrscheinlich nicht, ist die Antwort. Noch nicht mal aus mir selbst werd ich einigermaßen schlau.
     Ganz neu ist das ja nicht; schlau werden zu wollen, scheint wirklich nicht viel zu bringen; im Laufe der Jahre hab ich mehr und mehr das Interesse daran verloren - auch wenn mir Redensarten wie die obige immer noch rausrutschen. Wer weiß, wohin dieses Loslassen noch führt... Ich denke allen Ernstes, Wohlwollen ist besser, bringt mehr Helligkeit, dringt tiefer, macht alle Prozesse lebendiger.
     Am besten, man probiert das Wohlwollen gerade an dieser Person aus, bei der man den krassesten Eindruck hat, überhaupt nicht schlau werden zu können, versucht es dann mit weiteren erreichbaren Zeitgenossen, um schließlich - last but not least - bei sich selbst zu landen. Und ich denke, ein Quentchen Humor bei alledem, individuell dosiert, kann auch nicht schaden.
     (Wer zu Selbstzweifeln u. dgl. neigt, sollte aber vielleicht doch erstmal sich selbst gegenüber mit der wohlwollenden Zuneigung beginnen - nicht wahr? Aus verschiedenen Gründen.)


2. Februar '23
Ende der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln! - Was war das doch für eine besondere, hinter- und untergründige, symbolträchtige Zeit. Eine Zeit des Übergangs - wohinein?

Maske
Herkunft: im 17. Jahrhundert von französisch masque entlehnt, das als Kurzform auf italienisch maschera zurückgeht. Laut Wahrig geht das Wort auf arabisch mashara "Verspottung" zurück.

Vielleicht etwas kurzschlüssig, den Begriff Maskenpflicht als Pflicht zur Selbstverspottung zu deuten? ...




1. Februar '23

DENKEN WIE ATMEN. - Den Duft des bereits groß und menschheitlich Gedachten einsaugen, ihn erneut im eigenen atmenden Denken leben lassen. Den Geistatem mit dem jeweils nächsten Menschen tauschen, hörend-sprechend. - Hören und Sprechen wie Blühen und Fruchten.

Angelus Silesius:

Nichts ist als Ich und Du: und wenn wir zwey nicht seyn,
So ist GOtt nicht mehr GOtt / und faellt der Himmel ein.


30. Januar '23

NOVALIS:

"Welches Gefühl aber ist himmlischer als das, seine Geliebten im wahrhaftesten Lebensgenusse begriffen zu wissen?"

"Jede Verbesserung unvollkommener Constitutionen läuft darauf hinaus, daß man sie der Liebe fähiger macht."

"Im eigentlichen Sinn ist Philosophieren - ein Liebkosen - eine Bezeugung der innigsten Liebe zum Nachdenken, der absoluten Lust an der Weisheit."


GOETHE:

PATER ECSTATICUS (aus Faust II)
     Ewiger Wonnebrand,
     Glühendes Liebeband,
     Siedender Schmerz der Brust,
     Schäumende Gotteslust.
     Pfeile, durchdringet mich,
     Lanzen, bezwinget mich,
     Keulen, zerschmettert mich,
     Blitze, durchwettert mich!
     Daß ja das Nichtige
     Alles verflüchtige,
     Glänze der Dauerstern,
     Ewiger Liebe Kern!

GOETHE:

"Gegen große Vorzüge eines andern gibt es kein Rettungsmittel als die Liebe."


GEORG KÜHLEWIND:

"Wer EINEN Menschen liebt, liebt alle Menschen. Einen zu lieben, heißt seine Einzigartigkeit, auch ihm verborgen, zu sehen. DIESE Individualität zu lieben, heißt lieben. Diese Einzigartigkeit zu finden, ist möglich, weil wir im Geiste nicht voneinander getrennt sind. Nur hier, in der Getrenntheit, ist Liebe möglich. Deshalb Trennung."

Diese Passage von Kühlewind begeistert mich immer wieder neu. Die in ihr enthaltenen Widersprüche weisen auf eine Dimension von Wahrheit hin, die sich der landläufigen Denkweise nicht ohne weiteres erschließt, jedoch bei weiterem und tieferem Nachdenken gefühlt werden kann. - Th.R.


13. Januar '23

31. Dezember '22 - im Vorblick auf 2023

GITTA MALLASZ, Zitate aus ihrem Buch Die Antwort der Engel:

ALLEIN DIE FREUDE IST SICHER. Alles hat eine Erklärung - die Freude hat keine Erklärung. Wir können nicht sagen, warum wir uns freuen, und dennoch ist Freude unser Dienst.

Der erschaffene Mensch ist zwischen Anfang und Ende. DER ERSCHAFFENDE MENSCH IST ZWISCHEN ENDE UND ANFANG. Zwischen Anfang und Ende ist Zeit. - Zwischen Ende und Anfang ist Ewigkeit.

JEDE BEWEGUNG KANN BILD DER SCHÖPFUNG WERDEN.

Werden wir eins mit dem Ursprung, so ist das Freude. DIE WAHRE BEWEGUNG ENTSTEHT IN IHM UND KEHRT ZU IHM ZURÜCK.

Das ist die Freude: Die Bewegung beginnt... strömt aus... gibt sich hin... und kehrt zurück, wie der Atemzug. Im Herzen ist der Anfang, das Ende und die Freude.
DIE FREUDE IST DIE LUFT DER NEUEN WELT.

Weißt du, was ein "Mysterium" ist?
EIN AUS DER TIEFE DER SEELE ENTSPRUNGENES LÄCHELN - DAS IST MYSTERIUM.
DEIN WEGWEISER SEI DIE FREUDE.


JOSEPH BEUYS:

"Man muß den Menschen schmackhaft machen, daß es interessant ist, sich völlig preiszugeben mit all den Fehlern, die man hat. - Ich will nur die Menschen anregen, nicht zu warten auf einen idealen Bewußtseinszustand. Sie müssen mit den jetzigen Mitteln beginnen - mit ihren Fehlern beginnen."


Silvester '22. -
Für meinen Jahresrückblick kann folgende Notiz (von wann eigentlich?) stehen:

Was mich eigentlich gar nicht bewußt interessiert hat, hab ich doch immer wieder gemacht: Grenzgängerei zwischen Ordnung und Chaos, Tradition und Erneuerung, auch zwischen Berechenbar und Unberechenbar. Ich mache gleichzeitig Dinge, die nicht zusammenpassen, und die Dinge arrangieren sich. Das große Drama bleibt aus. Ist das Dekoration? Postmoderne? Oder die "Koinzidenz der Gegensätze"?! Ja, das wär's, genau das. Gott und Welt spielen? - Na klar, einfach weitermachen.

Skizze nach ANGELUS SILESIUS:

Das ueberlichte Licht schaut man in diesem Leben
Nicht besser / als wann man ins dunkle sich begeben.


23. Dezember '22

Sätze von NOVALIS:

"Jede Stufe der Bildung fängt mit Kindheit an. Daher ist der am meisten gebildete, irdische Mensch dem Kinde so ähnlich."

"Das Interessante ist die Materie, die sich um die Schönheit bewegt. Wo Geist und Schönheit ist, häuft sich in konzentrischen Schwingungen das Beste aller Naturen."

"Welten bauen genügt dem tiefer dringenden Sinn nicht: / Aber ein liebendes Herz sättigt den strebenden Geist."

"Menschheit ist eine humoristische Rolle."


Schreibübung nach ANGELUS SILESIUS:

Weil ich das wahre Licht / so wie es ist / sol sehn;
So muß ichs selber seyn: sonst kan es nicht geschehn.


EINE GEWAGTE PERSPEKTIVE

"Viel Lärm um nichts": Diese Redensart spricht doch viel Tieferes aus, als gemeinhin darunter verstanden wird! Ist nicht all unser Treiben Lärm, ist nicht unter tieferem Gesichtspunkt selbst die wohlmeinendste Geschäftigkeit Lärm? Unsere "Informationsgesellschaft", das Gewimmel des Internet, das Geschnatter der Medien, auch unser "lebenslanges Lernen", unser ständiger Meinungsstreit: ist nicht alldies Lärm?
     Wenn wir diesen (ja wirklich irgendwie großartigen) Lärm einmal beiseite lassen und auf das hören könnten, was dann übrig bliebe, auf das, was eben kein "Das" ist, auf das große namenlose Schweigen: bekämen wir dann nicht eine Ahnung, daß dieses sogenannte Nichts, um das aller Lärm kreist, die Quelle und auch das Ziel alles Seins ist?

Lao Tse: "Den Gipfel der Leere erreichen. Die Fülle der Ruhe bewahren. - Im Hervortreten aller Dinge und Wesen zugleich ihre Umkehr bemerken. Denn die Dinge in ihrem Getümmel kehren ein jedes wieder zur Wurzel zurück. - Einkehr zur Wurzel: Stille. Wendung ins Ureigene: Ewigkeit. Erkenntnis des Ewigen: Klarheit. (...) - Leben im Dao. Untergehen, sterben ohne Gefahr."


 

 


20. Dezember '22

OFFENHEIT NACH AUSSEN UND INNEN

Komischer Begriff: ein "geschlossenes System". Was ist das überhaupt? Ist der Mensch ein geschlossenes System? Ich denke, nicht wirklich; jedenfalls sollte er's nicht sein. Und manche Gedankensysteme, muten sie in ihrer zwingenden Schlüssigkeit bzw. Geschlossenheit nicht imposant und attraktiv an? Gewiß - aber je geschlossener, desto "autistischer" kommen sie mir auch vor.
     Erst recht wird's merkwürdig, wenn in der Apokalypse des Johannes massiv mit schlimmsten Konsequenzen gedroht wird, sollte jemand die Geschlossenheit dieses Textes verletzen, indem er den darin geoffenbarten Weissagungen etwas hinzufügt oder etwas davon wegnimmt.
     Ich kann mir nicht helfen, Geschlossenheit - in welchem Sinn auch immer - scheint nix für mich zu sein; ich bin fürs Öffnen, ja Aufbrechen allzu fester Systeme! Vielleicht ist das ja sehr naiv, aber es geht doch ums Kommunizieren, ums Entfalten, ums geistige Atmen, oder?
     Könnte nun einer sagen: Ob du's wahrhaben willst oder nicht, du bist doch gefangen im menschlichen System, und dies ist in gewissem Sinne geschlossen. Wenn du da ausbrichst, wirst du verrückt, verlierst quasi dein Menschsein. - Kommt drauf an, was du unter Menschsein verstehst, würde ich erwidern. Und mir fällt dann Angelus Silesius ein:
     "Der Mensch ist alle Ding': ist's , daß ihm eins gebricht, / so kennet er fürwahr sein' Reichtum selber nicht."
     Klar, es widerspricht dem Wesen des Geistes generell, sich zu isolieren, sich in sich selbst festzusetzen. Aber was könnte denn an einem geschlossenen mentalen System erstrebenswert, attraktiv sein? Daß es Sicherheit böte? - Oh ja, Sicherheit ist in aller Munde, wer strebt heutzutage nicht danach? Tut mir leid, ich bin des grassierend zunehmenden Sicherheitswahns längst überdrüssig; mein Vertrauen geht mehr in Richtung dessen, was mir zuverlässiger scheint als jede Absicherung: Unberechenbarkeit, Offenheit, Gefahr.
     Die Widersprüche in und zwischen uns Menschen, die unabsehbaren Dramen des Weltgeschehens, all dies Miteinander der Gegensätze: ich erkenne es an, versuche mich ihm zu öffnen! Auch im Denken: Warum nicht die gegensätzlichsten Arten und Weisen miteinander leben lassen: naturwissenschaftliches Denken, "mystisches" Denken, künstlerisch-kreatives Denken, "magisches" Denken, philosophisch- abstraktes Denken?
     Joseph Beuys ist so ein widersprüchlich Anmutender, für mich ein Geöffneter, ja ein Öffnender! Kein Wunder, daß er von vielen für einen Spinner gehalten wurde und wird. "Jeder Mensch ist ein Künstler." - "Christus, der Erfinder der Dampfmaschine." - "Die Ursache liegt in der Zukunft."
     Und von Rudolf Steiner -. ebenfalls vielfach als verstiegen und verrückt angesehen (was ich hier nicht erörtern möchte) -, stammt ein Slogan, der mich immer wieder begeistert hat, und der mir als eine Art Lebensmaxime gilt: "Die Wahrheit als Gesamtumfang aller Weltansichten".
     -  -  Nun frage ich mich ersthaft, bin ich denn gegen jede Systematik? Nein, natürlich nicht! Ein wunderbares Beispiel für die Balance zwischen Geschlossenheit und Offenheit ist übrigens unser gängiges Tonsystem: ein perfekter Kreis von zwölf Tönen, dessen Geschlossenheit allerdings ein Kunstgriff ist, eine geniale menschliche Erfindung! Denn der Wirklichkeit des musikalischen Hörens entspricht zunächst ein offenes System: Sieben Stammtöne, die "chromatisch" erhöht oder abgesenkt werden können. Dies ergibt schon einundzwanzig Töne, bei doppelter Erhöhung und Erniedrigung fünfunddreißig!
     Und es geht weiter: Wer mehrstimmig singt, kann schnell bemerken, daß es nicht reicht, die im System fixierten Frequenzen - ob nun zwölftönig oder in chromatisierter Siebentönigkeit - zu treffen, daß hingegen ein stimmiges Zusammenklingen nur durch immer neues feineres Variieren der Tonhöhen zugunsten jeweils aktueller Balance gelingt. Eine neue Dimension zeigt sich hier: die schier unendliche Offenheit nach innen.


ROBERT MUSIL:
"Die Wahrheit ist eben kein Kristall, den man in die Tasche steckt, sondern eine Flüssigkeit, in die man hineinfällt."



Skizze zu ANGELUS SILESIUS:
Freund so du etwas bist / so bleib doch ja nicht stehn:
Man muß aus einem Licht fort in das andre gehn.



15. Dezember '22

JOHANNES ITTEN:

"Regeln und Gesetze. Sie sind an und für sich gar nichts und nur dazu da, dem Schwachen eine Hilfe zu sein. Jedes Wort, jede Lehre ist ganz unnütz für die, die um das Eine wissen. Sie sind nur Tore, durch die der Suchende eintreten kann in das Reich des lebendigen, unformbaren Geistes. Sie sind nur Nahrung für den Suchenden, solange er derer bedarf, aber nicht das zu Suchende."



12. Dezember '22
Sentenzen von MARTIN HEIDEGGER:

"Ich habe einen früheren Standpunkt verlassen, nicht um dagegen einen anderen einzutauschen, sondern weil auch der vormalige Standort nur ein Aufenthalt war in einem Unterwegs. Das Bleibende im Denken ist der Weg. Und Denkwege bergen in sich das Geheimnisvolle, daß wir sie vorwärts und rückwärts gehen können, daß sogar der Weg zurück uns erst vorwärts führt."

"Die verweilende Rückkehr dahin, wo wir schon sind, ist unendlich schwerer als die eiligen Fahrten dorthin, wo wir nicht sind und nie sein werden, es sei denn als technische, den Maschinen angepaßte Ungetüme. Der Schritt zurück in die Ortschaft des Menschenwesens verlangt anderes als der Fortschritt ins Maschinenwesen."

"Wenn es wahr ist, daß der Mensch den eigentlichen Aufenthalt seines Wesens in der Sprache hat, unabhängig davon, ob er es weiß oder nicht, dann wird eine Erfahrung, die wir mit der Sprache machen, uns im innersten Gefüge unseres Daseins anrühren."

"... daß das Denken allem zuvor ein Hören ist, ein Sichsagenlassen."


9. Dezember '22

Worte von NOVALIS:

"Jedes Wort ist ein Wort der Beschwörung. Welcher Geist ruft - ein solcher erscheint."

"Poesie ist die große Kunst der Construction der transcententalen Gesundheit. Der Poet ist also der transcendentale Arzt.
     Die Poesie schaltet und waltet mit Schmerz und Kitzel - mit Lust und Unlust - Irrthum und Wahrheit - Gesundheit und Kranckheit - Sie mischt alles zu ihrem großen Zweck der Zwecke - der ERHEBUNG DES MENSCHEN ÜBER SICH SELBST."

"Das Genie überhaupt ist poetisch. Wo das Genie gewirckt hat - hat es poetisch gewirckt. Der ächt moralische Mensch ist Dichter."


8. Dezember '22
SPRACHSCHMERZEN. Ein Lamento
Die menschliche Sprache, was ist los mit ihr? - Ja, ich weiß, sie ist Hauptmittel unserer Verständigung über "Inhalte", Transportmittel für "Informationen" - und dies auch im feineren Sinne: Mit dem Stil und Ton unseres Sprechens "informieren" wir uns gegenseitig - bewußt oder unbewußt - über manches nicht allzu direkt Benannte: Bildungsstand, kulturelle Prägung, religiöse oder politische Haltungen usw.
     Aber wer kümmert sich denn um das Wesen der Sprache selbst? Wer fragt nach ihren Lebensprozessen, ihrer Schönheit, nach den aus ihrem Eigenwesen hervorgehenden Entwicklungen? Einige durchaus, aber wohl nicht allzu viele. Ich verstehe wirklich nicht viel von Sprache, und doch empfinde ich es als Grausamkeit - gepaart mit Ignoranz, ja Dummheit -, wenn der Sprache von oben herab Gewalt angetan wird. Mit der Diskriminierung gewisser Wörter ging es los und setzt sich seit einiger Zeit munter fort mit der Nötigung zu grammatikalisch und semantisch sinnlosen Wortbildungen.
     Gegen spielerische, kreative Sprach- und Sprechveränderungen ist nichts zu sagen, einiges hab ich selbst auf diesem Feld probiert, und bei Schwitters, Jandl und anderen gibt's schöne Beispiele dafür! Ganz zu schweigen von den originellen, liebenswürdigen Eigenarten der Dialekte. Auch Fachsprachen mit ihren Schrulligkeiten, ebenfalls sogenannte Jugendsprache kann ich noch gut tolerieren. Hingegen empfinde ich ideologisch motivierte, von Instanzen mit angemaßter Kompetenz verordnete Eingriffe als derart verletzend und deprimierend, daß ich manchmal Mühe habe, meine Verärgerung zu besänftigen.
     Vor einiger Zeit schrieb ich mir auf: "Gendersprech-Verordnungen sind das Werk von instinkt- und skrupellosen Sprachvergewaltigern und Sprachvergewaltigerinnen bzw. von ideologisch besessenen Bevormundern und Bevormunderinnen! Bevormundung bleibt Bevormundung, auch wenn sie moralisch aufgerüstet daherkommt. Vergewaltigung bleibt Vergewaltigung, auch wenn der oder die Vergewaltigte kein wehrloser Mensch, sondern die Sprache ist."
     Ein Freund, dem ich dies vorlas, entgegnete: "Oh, das ist ja wirklich böse!" Aber was soll daran böse sein; ist es denn böse, etwas rücksichtslos Zerstörerisches deutlich als solches zu benennen? - Nun ja, Ärger ist auch nicht konstruktiv, das muß ich zugeben. Ich sollte meine Empörung immer wieder wegatmen und dabei friedfertig lächeln...
     Ein bißchen traurig darf ich aber doch sein, wenn's gegen die Sprache geht, oder? Ziemlich häufig fallen mir seit einigen Jahren - nicht nur in den Medien - Äußerungen beredsamer Zeitgenossen auf - wie etwa diese: "Ich betrachte Jesus als der einzig wahre Mensch." Wer ist hier der wahre Mensch? - Das Verschwinden des Genitivs wurde ja bereits beklagt; ich hingegen vermute, Dativ und sogar Akkusativ werden auch mehr und mehr aussterben, so wie sich bei den Verben der Konjunktiv schon vielfach verabschiedet hat.
     Ja, natürlich haben solche Symptome nicht direkt mit autoritären Sprachvorschriften zu tun - aber wenn nicht direkt, so doch vielleicht indirekt? Beides sind wohl Zeichen von Entfremdung: die Sprache ist immer weniger unsere, scheint uns Stück für Stück zu entgleiten.
     Man sieht, das Verlernen und Vergessen der Grammatik funktioniert ganz freiwillig, ohne Verordnungen. Ebenso die allmähliche Verarmung und immer sinnfremdere Anwendung des Wortschatzes. Blüten wie die Folgenden scheinen niemandem aufzufallen: "Können diese Diesel-PKW auf Entschädigung hoffen?" - "Wir gedenken dem Außenminister." - "Sie hatte ihr Beileid mit dem Verstorbenen mitgeteilt." - "Im Angebot ist Frischkäse mit Kräuter." Ich gebe zu, letzteres Beispiel schlägt mir direkt auf den Magen. Bin halt überempfindlich.
     Häufig wird ja der Begriff Sprachwandel bemüht. Doch in welche Richtung gehen Wandel und Entwicklung, wenn beziehungsreiche Ausprägung des Satzbaus und stilistisches Feingefühl als "abgehoben" empfunden werden, wenn Liebe zur Sprache als solcher zum Nischenphänomen wird? Die Zukunft wird der Flachheit gehören, so scheint's.
     Aber: was ist mit meinen eigenen sprachlichen Versuchen? Frei von Unbeholfenheit und Unsicherheit sind sie nicht, und so stellen sie noch keine wirkliche Ausnahme von der allgemeinen Misere dar. Allein schon der Wortschatz ist ziemlich dürftig... Immerhin sind sie eine Art Übungen, ein wenig über die eigenen Beschränkungen hinauszuwachsen. Gelegentliche Kostproben aus brieflichen und sonstigen schriftlichen Zeugnissen vergangener Jahrhunderte offenbaren mir teilweise ein so reiches, lebendiges - und dabei ganz selbstverständliches - Sprechvermögen, daß ich dann ziemlich genau weiß, wo ich selbst stehe.
     - - - Ende des Klageliedes.



   
1. Dezember '22

WÖRTER UND WORTE

Lao Tse: "Wer weiß, spricht nicht. Wer spricht, weiß nicht."
     
Wie wahr das ist. Das Sprechen ist sehr geeignet, dich und deine Zuhörer zu verwirren, zu verstricken, vom Wesentlichen abzulenken. Du sagst ein Wort, gar einen ganzen Satz - und jeder, der zuhört, versteht deine Rede gemäß seiner eigenen Prägung und Ausrichtung. Selbst wenn zwei, die dich sprechen hörten, sich an deinen Worten begeistern, haben sie das, worauf's dir ankam, vielleicht beide noch nicht einmal bemerkt.
     Denn was heißt schon Verstehen? Hast du denn selbst ganz verstanden, wovon du sprichst? Woher nimmst du deine Sicherheit? Im besten Fall hast du einen Aspekt des Wesentlichen berührt; indem du jedoch versucht hast, dies geistige Lebendige und Wesentliche begrifflich zu fassen zu bekommen, mußtest du es einengen, vereinseitigen, deinem Fassungsvermögen anpassen. Worte wie fassen, begreifen, fest-stellen deuten ja darauf hin.
     Und indem du Worte für gedachte Begriffe benutzt, entsteht das nächste Problem, denn die Wörter sind mehrdeutig, sie haben ihre eigene, oft wechselhafte Geschichte, ja ihren Eigenwillen. Werden sie benutzt (welch ein Wort: be-nutzen!) - werden sie also dienstbar gemacht -, spielen sie dem Sprecher manchmal mutwillige Streiche, und das Gesagte hat dann mit dem Gemeinten kaum noch etwas zu tun...
     Hat Paulus nicht gesagt: "Unser Erkennen und Weissagen ist Stückwerk"? Ja, und dennoch hat er gesprochen und geschrieben. Ziemlich viel sogar. Das Reden und vielleicht auch Schreiben ist unser Schicksal; gar nicht zu sprechen, geht auf Dauer nicht. Wenn Lao Tse sagt: "Wer weiß, spricht nicht", ist das ja auch ein Sprechen. Und welchen Sinn können dann die Worte haben, welche Aufgabe können sie erfüllen?
     Das Sprechen kann niemanden zum Verstehen zwingen, doch es kann auf Wesentliches hindeuten, auf Lebendiges, letztlich Unsagbares. Nochmals Paulus: "Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören." Und Lao Tse: "Umfassendes Geviert scheint eckenlos. Umfassendes Werk wird spät vollendet. Umfassender Klang ist kaum zu hören. Umfassendes Bild verweigert feste Form." Genial auch der Satz von Albrecht Fabri: "Die Wohnung des Geistes ist der unendliche Bauplatz."
     Demut hilft sicherlich weiter. Auch der Verzicht auf Sturheit, ein gewisser Humor, eine im Schillerschen Sinne spielerische Haltung, die sich mit dem Eigenleben der Wörter und überhaupt der Sprache anfreundet. Denn etwas künstlerisch Lebendiges scheint besser als alles Zwingende und Zwanghafte mit dem gewaltigen, unberechenbaren Leben und Sinn und Grund der Welt zu korrespondieren. Besser als der bloße Scharf-Sinn, dessen Schärfe - leichtsinnig betätigt - dich schnell vom lebendigen Ganzen abschneiden kann.
     Doch bedeutet Humor und Spiel nicht unbedingt Spaß; ein Sich-Einlassen auf Lebendiges schließt die Todeserfahrung ein. Paul Celan: "Sprich - / Doch scheide das Nein nicht vom Ja. / Gib deinem Spruch auch den Sinn: / gib ihm den Schatten." Und: "Blicke umher: / sieh, wie's lebendig wird rings - / Beim Tode! Lebendig! / Wahr spricht, wer Schatten spricht."

Friedel Waal


29. November '22
Schreibübung nach ANGELUS SILESIUS
Zeit ist wie Ewigkeit / und Ewigkeit wie Zeit /
So du nur selber nicht machst einen unterscheid.

28. November '22

Aus den Fragmenten von HERAKLIT:

"Gemeinsam ist allen das Denken."

"Drum tut es not, dem Allgemeinen zu folgen. Obwohl aber der Sinn allgemein ist, leben die Vielen, als hätten sie ein Denken für sich."

"Wähnen ist wie Fallsucht und das Auge trügt."

"Sie verstehen nicht, wie das Unstimmige mit sich übereinstimmt: des Wider-Spännstigen Fügung wie bei Bogen und Leier."

"Mehr als sichtbare gilt unsichtbare Harmonie."

"Das Feuer ist vernunftbegabt."

"Dem Blöden fährt bei jedem sinnvollen Wort der Schrecken in die Glieder."


ZUR GENDERSPRACHE
"Gendersprech"-Verordnungen sind das Werk von instinkt- und skrupellosen Sprachvergewaltigern und Sprachvergewaltigerinnen bzw. von ideologisch besessenen Bevormundern und Bevormunderinnen! Bevormundung bleibt Bevormundung, auch wenn sie moralistisch aufgerüstet daherkommt. Vergewaltigung bleibt Vergewaltigung, auch wenn der oder die Vergewaltigte kein wehrloser Mensch, sondern die Sprache ist.

Friedel Waal

 

DREI QUASAIKUS (Sprüche in Haiku-Form)

Männlicher Hochmut
und Hybris der Weiblichkeit:
Beides ist lachhaft.

Sechzig Geschlechter?
Wieviele brauchen wir noch?
Mir reicht eins: Menschheit.

Was darf ich sagen?
Sprachregelungen sind dumm.
Geistige Folter!

Friedel Waal





25. November '22

Heute die Nachricht: HANS MAGNUS ENZENSBERGER ist mit 93 Jahren gestorben.
     Er war nicht unbedingt meine "Blutgruppe", aber dennoch - oder vielleicht gerade deshalb! - habe ich ihn immer gemocht: diesen funkelnden Geist, heiter, vielfach aufmerksam, unberechenbar und von unvergleichlicher Eleganz!
     Ich gucke im Netz nach und lese unter anderem folgende Zitate, die mir aus der Seele sprechen:
"Der Eintritt in die Politik ist der Abschied vom Leben, der Kuß des Todes."

"Die Politiker sind arme Teufel. Was ist der Zeithorizont eines Politikers? Zwei Jahre, bis zur nächsten Wahl. Weiter kann und darf er nicht denken. In gewisser Weise sind diese Menschen zu bedauern."

"Die Überzeugung, daß er es draußen im Lande mit Millionen von Idioten zu tun hat, gehört zur psychischen Grundausstattung des Politikers."

"Alle reden von Kommunikation, aber die wenigsten haben sich etwas mitzuteilen."

"Heiterkeit ist eine moralische Frage. Mürrische Leute, die andere mit ihren Problemen behelligen, die halte ich für rücksichtslos."

"Mißtraue jedem, der sich selber zu kennen glaubt."


20. November '22, Totensonntag
Schreibübung nach ANGELUS SILESIUS

19. November '22
SÄTZE ZUM NACH- UND WEITERDENKEN von ALBRECHT FABRI (1911-1998),
entnommen aus DER SCHMUTZIGE DAUMEN, gesammelte Schriften (Zweitausendeins)

Zum Thema "Geist":

Die Wohnung des Geistes ist der ewige Bauplatz.

Was wir Wirklichkeit nennen, ist uns nicht gegeben, sondern aufgegeben.

Der Geist baut, aber wohnt nicht. Was wohnt, ist die einzige Trägheit.

Not und Glück sind im Geistigen untrennbar eines. Daß der Geist nichts hervorbringen kann, was ein weiteres Hervorbringen erübrigt, ist die Bedingung des Geistes.

Zum Theama "Kunst":

Der eigentümliche Widerspruch der Kunst: Alles in ihr Getane ist endgültig und ein für allemal getan. Gleichwohl bleibt dasselbe in ihr immer von neuem und erstmals zu tun.

Kunst stirbt nicht an Unsicherheit, sondern an Verhärtung zur Konvention.

Entweder ist die Sache selber der Sinn, oder ihr Sinn liegt außerhalb ihrer, und dann hat sie keinen.

"Man versteht Künstler, indem man Künstler wird, sich also selbst versteht", heißt es einmal bei Novalis.

Ein Bild, das sich beschreiben ließe, hätte nicht brauchen gemalt zu werden.



NACHKLANG VON DER LOGOS-TAGUNG
7. bis 11. Oktober '22 in Dortmund

Diese Tagung der Christengemeinschaft mit dem Motto Consecrating Humanity war in mancher Hinsicht gigantisch. Mehr als 2000 Teilnehmer aus vielen Ländern, dabei eine Fülle von Angeboten - acht gleichzeitige kultische Handlungen, -zig Vorträge und Workshops, mehrere simultan laufende künstlerische Veranstaltungen usw.: diese Fülle und Vielfalt fand ich durchaus beachtlich, zumal die Christengemeinschaft ja eine ziemlich kleine Bewegung ist.
       Man sah in diesen fünf Tagen viele muntere, freundliche, aufgeschlossene, ja manchmal leuchtende Gesichter, was ich gar nicht selbstverständlich fand. Erstaunlich auch die Geduld vieler Menschen angesichts der Zähigkeit mancher Abläufe. Mein eigenes Urteil gegenüber gewissen Organisationspannen wurde auch immer milder, zumal ich ebenfalls der Gleichzeitigkeit mancher Anforderungen nicht immer gewachsen war...
       Als Trio jo.FEUERBACH (Angelika Remlinger - Stimme, Andreas Krennerich - Saxophone, Th.R. - Klavier) waren wir als Mitverantwortliche involviert und hatten vier Jobs teils wiederholentlich zu bedienen, mit der Folge, daß wir fast alle Zeit und Kraft für unsere eigenen Aktionen und deren Vorbereitung einsetzen mußten. In meinen Augen eine wunderbare Übung! - Allerdings hatten wir auch die einschneidende Tatsache zu verkraften, daß Andreas ernstlich krank wurde und ab Montag nicht mehr mitwirken konnte. Sehr bitter und traurig! Aber auch ein Ansporn zur Mobilisierung weiterer Kräfte und zu erhöhter Präsenz.
       Mehrmals konnten wir zu kultischen Handlungen frei improvisieren. Der Kultus der Christengemeinschaft, eine besondere Form der Messe (auf der Tagung in verschiedenen Sprachen zelebriert), verlangt von den Musikern ein höchstes Maß an Bereitschaft und Konzentration. Die Einfühlung in den Strom der Sprache und in die darin lebenden Inhalte führt zu einer gewissen Demut, zu einem Verzicht auf Routine und bloßes Rankenwerk. Jeder Ton, jede Bewegung zeigt sich unverhüllt, muß sozusagen wahr sein.
       An drei Tagen haben wir einen Workshop angeboten: Wort, Farbe, Klang - Schöpfungen aus dem Nichts. Es ging um vertiefende Wahrnehmung, um ein Bewußtwerden des jeweils Spezifischen im Hören und Sehen, um freie, improvisatorisch gestaltete Begegnungen zwischen den verschiedenen Wahrnehmungsebenen, auch zwischen den Teilnehmern, nicht zuletzt um ein anfänglich meditatives Eintauchen in Erlebnisschichten der Stille, ja der "Bewußtseinsleere". Bilder aus der malerischen Werkstatt von Angelika Remlinger und poetisch-meditative Sentenzen diverser Autoren, deutsch und englisch, kamen zum Einsatz. Mit uns waren es maximal zehn Anwesende, die sich in der freien Erkundung stimmlicher Mittel, im vorurteilsfreien Wahrnehmen und in gegenseitiger Verständigung übten.
       Für eine der Plenumsveranstaltungen hatte ich ein Lied geschrieben: "Die Wahrheit tun / Let us do the truth". Mit Hilfe von Andreas und Angelika gelang es erstaunlich mühelos, dies in einem Zelt mit knapp 2000 Anwesenden zu erüben und an Ort und Stelle innerhalb einer kleinen Aufführung mit folgendem Ablauf zu realisieren: 1.) das Lied; 2.) frei gesungene Vokale; 3.) ein Klangraum aus frei gesprochenen Worten; 4.) neue Vokale, wieder frei gesungen; 5.) Wiederholung des Liedes.
       Beglückend war für uns eine Konzertlesung, die wir gemeinsam mit dem Geisteswissenschaftler und Buchautor Laszlo Böszörmenyi gestalten durften - allerdings eben leider ohne Andreas: DIE FREUDE IST DIE LUFT DER NEUEN WELT. Ein Abend mit Worten von Gitta Mallasz, Rudolf Steiner und Georg Kühlewind. Laszlo gab eine Einführung und sprach dann die inspirierenden Texte im Wechsel und in Verflechtungen mit frei improvisierter Musik von uns beiden: Stimme und Klavier (letzteres teils "präpariert"). - Für das Ganze kann hier ein Satz von Laszlo Böszörmenyi stehen: "Die Freude ist eine Urkraft, die schon bei der Schöpfung mitgewirkt hat, und die auch heute jeden schöpferischen Akt begleitet."
       Erstaunlich war für uns, wie aufgeschlossen viele Menschen unseren Beiträgen gegenüber waren. Nicht wenige sind offenbar besonders von Angelikas Art zu singen tief berührt worden. Die langjährige, nicht immer mühelose Üb- und Probenarbeit scheint wirklich nicht umsonst zu sein. Apropos Freude: Ich glaube, wir dürfen uns freuen und sollten dankbar sein, wenn wir "landen" dürfen!
       Aber auch sonst habe ich den Eindruck, daß die Christengemeinschaft sich an der Schwelle zum zweiten Jahrhundert ihres Wirkens tatsächlich anschickt, ihren Anspruch von Offenheit, Freiheitlichkeit und geistiger Lebendigkeit mehr und mehr einzulösen. Klerikal-autoritäre Gewohnheiten sind in Auflösung begriffen, der geistige Horizont scheint sich zu weiten. Das läßt hoffen!


5. Oktober '22

(Ich referiere nicht, was sich in fertiger Form in meinem eigenen "geistigen Haushalt" befindet, sondern indem ich schreibe, koche ich sozusagen Essen. Warum und wozu? Für mein Empfinden muß das Geistige immer wieder neu gesät, gepflegt, geerntet, zubereitet und gegessen werden. Indem ich dies versuche, ernähre ich mich selbst - und vielleicht noch ein paar wenige andere mit. Es ist eine meiner bescheidenen Möglichkeiten, in das Erleben von Geistes-Gegenwart zu kommen.)


4. Oktober '22

Angesichts wiederholter Begegnungen mit philosophischen, naturwissenschaftlichen, spiritualistischen, religiösen und persönlich geprägten Meinungen, Glaubenssätzen, Welt-Interpretationen und dergleichen schrieb ich mir kürzlich Folgendes auf:

So viele Mitteilungen, so viele Antworten.
Ich bleibe in der Frage.

So viel Gewißheit, so viel Sicherheit.
Ich bleibe in der Frage.

So viel Geformtes, so viel Festigkeit.
Ich bleibe in der Frage.

Im Unberechenbaren,
in Wind, Wolke und Flamme bleib ich.
In der Heimat.





29. August '22

In Planung sind im Augenblick u.a. folgende Veranstaltungen:
-   11.09.'22, 11:15, Die Christengemeinschaft in Kassel, Pfeifferstraße 4,
     Ausstellungseröffnung mit Bildern von Johannes Rath,
     Vortrag von Edmund Tucholski, Köln,
     Musik vom Duo SELBANDER:
     Angelika Remlinger - Stimme; Thomas Reuter - Klavier
-   02.10.'22, 15:30, Die Christengemeinschaft in Kassel,
     Gemeindefest mit dem vocaLumen.FRAUENKAMMERCHOR
     und dem Chor der Gemeinde, Leitung Thomas Reuter
-   10.10.'22, 20:00, Dortmund, Mergelteichstraße(?),
     während der LOGOS Tagung der Christengemeinschaft:
     "Die Freude ist die Luft der neuen Welt." Aufführung
     mit Texten von Gitta Mallasz, Rudolf Steiner, Georg Kühlewind.
     Rezitation: Laszlo Böszörmenyi,
     Musik: Trio jo.FEUERBACH
-   22.10.'22, 20:00, Stuttgart, Rudolf-Steiner-Haus, Zur Uhlandshöhe 10,
     während der Meditationstagung "Vom Normalen zum Gesunden":
     "Die Freude ist die Luft der neuen Welt." Aufführung analog 10.10.'22
-   13.11.'22, 17:00, Hannover, Michael-Kirche, Ellernstraße 44
     Musikalische Andacht mit dem vocaLumen.FRAUENKAMMERCHOR,
     Leitung Thomas Reuter
-   19.11.'22, 18:00, Hannover, Michael-Kirche, Ellernstraße 44,
     Andacht zum Totengedenken mit dem Gemeindechor der Christengemeinschaft


22. August '22

Heute konnte ich die Website endlich vom Stapel lassen; ROLAND hat's möglich gemacht! Und womit könnte ich die Premiere feiern? Natürlich keine protzige Premierenfeier... Vielleicht mit einem etwas gewagten Leitspruch aus meinem GOTTSCHALK:

Die Liebe zu dem, was es gibt: Dies ist das Prinzip des Erkennens.
Die Liebe zu dem, was es nicht gibt: Dies ist das Prinzip des Schaffens.



14. August '22

Im April schrieb ich, meine Website sei fast fertig; damals konnte ich Baby nicht wissen, welche Schwierigkeiten es noch machen würde, das Material ins Netz zu stellen...
       Na ja, dann verging sehr viel Zeit, und das weltfremde Baby war mit anderen Dingen beschäftigt - - aber demnächst klappt's vielleicht tatsächlich!

Inzwischen wird gerade meine dritte Textsammlung gedruckt: Friedel Waal - OLGA. Sprüche, Denkzettel, Briefe, von der Seele geschrieben.
       Den Namen Friedel Waal hatte ich mir schon für meine beiden vorigen Anthologien zugelegt: GOTTSCHALK und OSWALD. Alle drei Bände im Selbstverlag. Einige Textproben sind hier auf der Website zu finden.


 


9. Mai '22

TON & ZUNGE. So wollte ich tatsächlich die Website ursprünglich nennen. Vor Jahren hatte ich mal ein Ensemble für Improvisation, das so hieß. "Zunge" traditionsgemäß als Sprache verstanden - aber auch irgendwie bezogen auf das Zungenreden, das in den Paulus-Briefen vorkommt. Eigentlich nach wie vor ein sehr schöner Name, der für das ganze reiche Spektrum zwischen Musik und Sprache stehen kann.
     Ein wohlmeinender Zeitgenosse störte sich damals an dem Ausdruck Zunge, empfand ihn wohl als anstößig. - Aber die "Suchmaschinen" würden TON & ZUNGE sicher erstmal gar nicht musikalisch-sprachlich einordnen, sondern "Ton" evtl. zur Geologie oder Töpferei gehörig, und "Zunge" vielleicht zum Fleischerhandwerk...


7. Mai '22

Ein Freund hat mir dies von Joachim Ringelnatz geschickt:

Den Umfang einer Wolke mißt
Kein Mensch. Weil sie nicht rastet,
Noch ihre Freiheit je vergißt. -
Ich glaube: Keine Wolke ist
Mit Arbeit überlastet.

6. Mai '22
... Mutet tollkühn an, ist aber nicht nur spaßig gemeint:

  • Thema Glück: Ich bin glücklich, wenn die Welt mir Gelegenheit gibt zu bemerken, daß ich mit allem einverstanden bin.
  • Ich bin ein Weltknoten.
  • Bin ich ein GUTER Teufel?
  • Dein Spaß: Erfreue andere. - Deine Pflicht: Freue dich selbst.
  • Man kann nicht ALLES vermeiden.
  • Alles ist wahr - aber nichts steht fest.
  • Warum immer nur fressen? Warum nicht mal gefressen werden?

                        Friedel Waal

5. Mai '22

DIALOG MIT KURT SCHWITTERS:

Wer ein Vogel hat, gleicht dem gekrönten Haupte.
-   Wie schön du das sagst, Kurt.
Wir alle gleichen in gewissem Sinne allem.
-   Wie gut du das sagst, Kurt.
Wenn zwei gekrönte Dreier ihr untereinander gleich sind, dann sind sie auch einem Dritten gleich.
-   Wie klar du das sagst, Kurt.
Und warum sollte dieser Vergleich nicht hinken?
-   Ja, warum auch nicht, Kurt?
Und darum steht wohl fest: Wer ein Vogel hat, der hat eben ein Vogel. Da kann man nichts machen.
-   Du bist unvergleichlich, Kurt.


2. Mai '22

FRIEDRICH SCHLEGEL:

Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden. Ein Kunsturteil, welches nicht selber ein Kunstwerk ist, hat kein Bürgerrecht im Reiche der Kunst.


26. April '22

NOVALIS:

Sollte das höchste Prinzip das höchste Paradoxon in seiner Aufgabe enthalten? Ein Satz sein, der schlechterdings keinen Frieden ließe, der immer anzöge und abstieße, immer von neuem unverständlich würde, sooft man ihn auch schon verstanden hätte? Der unsere Tätigkeit unaufhörlich rege machte, ohne sie je zu ermüden, ohne je gewohnt zu werden? Nach alten mystischen Sagen ist Gott für die Geister etwas Ähnliches.


25. April '22

"Warum mußt du immer so viel mitteilen?" So die Frage einer Freundin. - Ja, wieso versuche ich mich immer wieder mitzuteilen, wo doch völlig unklar ist, ob ich damit landen kann?  Wie jemand, der eine Flaschenpost nach der andern ins Meer wirft...
     Aber würde ich denn damit aufhören, wenn endgültig klar wäre, daß überhaupt keine dieser Mittelungen an "Herzland" gespült werden könnte? Ich glaube, ich würde schon weitermachen, denn immerhin gibt's ja mindestens eine Person, die mir zuhört - und die bin ich selbst.


SÄTZE VON ALBRECHT FABRI:

Entweder ist die Sache selber der Sinn, oder ihr Sinn liegt außerhalb ihrer, und dann hat sie keinen.

Der Künstler denkt, was er tut; der Dilletant denkt sich was dabei.

Geist wird Geist in dem Maß, in dem er leer wird.


20. April '22


19. April '22

So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen...

Diese Goethe-Zeile kam mir wieder, als meine Website gerade fast fertig wurde - nachdem ich durch Jahre hindurch gezögert hatte, mich überhaupt auf dieses Medium einzulassen, das ja gar nicht zu mir zu passen schien, zu meiner langsamen, introvertierten Natur!
       Inzwischen habe ich die Sorge vor Überforderung, Ablenkung von Wesentlichem - ja vor Selbstverbiegung - einigermaßen abgestreift... Aber was ist nun entstanden?
       Es bestätigt sich hier zum hundertsten Mal mein Eindruck, daß man gar nicht vermeiden kann, "sich selbst auszudrücken". Wir alle drücken uns fortwährend selber aus, direkt oder indirekt. Auch jemand, der ein Phantasie- und Wunschbild von sich entwirft und dabei seine Schattenseiten verbirgt, drückt seine Wesensart in ebendiesem Vorgang aus - usw.
       So erscheint mir dies hier präsentierte Konglomerat von Texten, Klängen und Bildern tatsächlich als "mein Ausdruck" - vielleicht allmählich noch ganz anders als ich's eigentlich wollte... Aber warum auch nicht? Wenn mir manche Leute Humor nachsagen (eine hohe Ehre), darf ich vielleicht hoffen, daß mich die gute Laune auch nach einiger Zeit beim Ertragen-Müssen meiner Selbstdarstellung nicht verläßt.